Interpersonelles Integratives Modellprojekt für Geflüchtete mit psychischen Störungen

Die Zahl der Geflüchteten in Deutschland ist seit 2015 dramatisch angestiegen. Viele der schutzsuchenden Menschen haben im Heimatland sowie auf der Flucht schwierige oder traumatische Erfahrungen gemacht, wobei schätzungsweise die Hälfte von ihnen unter psychischen Störungen leidet. Auf diesen Zustrom war das deutsche Gesundheitssystem nicht vorbereitet, so dass die zur Verfügung stehenden spezifischen Behandlungsan-gebote für psychisch kranke Geflüchtete nicht ausreichten. Aufgrund dieser prekären Situation entwickelten Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier und PD Dr. Meryam Schouler-Ocak das ‚Interpersonelle Integrative Modell-projekt für Flüchtlinge’ (IIMPF).
Das Ziel des Modellprojektes bestand darin, ein schnell implementierbares Hilfsprogramm für psychisch kranke Geflüchtete in Berlin zu ermöglichen. Die geflüchteten Menschen sollten durch das multidisziplinäre Projekt unmittelbare Hilfe bei der Bearbeitung ihrer psychischen Probleme und interpersonellen Belastungen erhalten. Gleichzeitig erfolgte eine Unterstützung bei der Integration in die Arbeits- und Sozialwelt.

Wie wurde das Projekt finanziert?
Das Modellprojekt wurde durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) über die Laufzeit vom 01.11.2015 bis zum 30.09.2016 mit einer Gesamtsumme i.H.v. 121.170,34 € gefördert, wobei das Gesamtvolumen des Projektes 276.804,98 € betrug. Neben den ehrenamtlich mit-arbeitenden Psychotherapeuten unter-stützten in der Migrationstherapie erfahrene Psychiater, Sozialarbeiter und Ergotherapeuten der Charité die Patienten.
Professionelle und spezifisch für das Projekt geschulte Dolmetscher, welche durch die Projektmittel bezahlt wurden, ermöglichten die Therapie in der Mutter-sprache. Zudem unterstützen zwei wissenschaftliche Mitarbeiter (Teilzeit-Projektstellen) die Projekt-leitung bei der Koordination und Durchführung.

Wie gut konnte das Projekt umgesetzt werden?
Das IIMPF wurde wie geplant an der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB), der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus sowie weiteren Kliniken und Praxen Berlins umgesetzt. Das Zentrum für Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie (ZIPP), das Behandlungszentrum für Folteropfer e.V., der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e.V. (BDÜ), der Berufs-psychologische Service der Bundesagentur für Arbeit, die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg sowie die Jobcenter Mitte und Spandau waren als wichtige Kooperationspartner am Projekt beteiligt.
27 psychologische und ärztliche Psychotherapeuten, die sich sehr motiviert ehrenamtlich beim Projekt einbrachten, und zehn professionelle Dolmetscher (überwiegend rekrutiert über den BDÜ) wurden im Rahmen des Projektes durch Trainings in Interkulturellen Kompetenzen sowie Workshops in der Interpersonellen Integrativen Therapie für Flüchtlinge (IITF) auf die aktive Mitarbeit vorbereitet.
Die manualisierte IITF basiert auf der in der Depressionsbehandlung evidenzbasierten Interpersonellen Psychotherapie (IPT). Im Rahmen der IITF konnten folgende fünf Bereiche in 10 Sitzungen a 100 Minuten über 2 Monate bearbeitet werden: Rollenwechsel (Lebensveränderungen durch die Flucht), Interpersonelle Konflikte, Isolation, Trauer sowie Integration. Unterstützt wurde die Psychotherapie durch psychiatrische Behandlung, Sozialberatung und (bei Bedarf) Ergotherapie. Bei Indikation wurden Patienten im Rahmen eines stepped-care Ansatzes an die spezialisierten Kooperations-einrichtungen vermittelt.
Insgesamt wurden 40 Patienten (34.3 Jahre, 73.2% männlich, 60% anerkanntes Asylverfahren) überwiegend aus Syrien und dem Irak in das Modellprojekt auf-genommen. 3 Patienten schieden nach der Diagnostik aus, so dass 37 Patienten (ITT-Sample) in die Therapiephase eintraten. Als Dropout wurden 9 Patienten (24.3%) klassifiziert, 28 (75.7%) beendeten die Therapie. Bei 70.3% der Patienten wurde eine Depression, bei 43.2% eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), bei 10.8% eine Angststörung und bei 18.9% weitere psychische Störungen diagnostiziert (oft hohe Komorbidität).

Welche Schwierigkeiten gab es bei der Ein- und Durchführung?
Um die zunächst langsam anlaufende Rekrutierung in das Projekt zu beschleunigen, erschien es notwendig, kultursensibles Aufklärungsmaterial bzgl. Psychotherapie zu erstellen, da viele behandlungsbedürftig erscheinende Geflüchtete aufgrund von Unkenntnissen oder Vorurteilen der Therapie zunächst skeptisch gegenüberstanden. Durch das Aufklärungsmaterial und die Rekrutierung in den Jobcentern Spandau und Mitte (statt der Charité) verbesserte sich die Aufnahmerate und Passung zum Projekt (z.B. anerkanntes Asylverfahren) erheblich.
Weitere Schwierigkeiten betrafen die logistische Koordination der Triaden, Vernetzung innerhalb der Module, Umgang mit Belastungen von Therapeuten und Dolmetschern sowie Frustration und Rückfälle der Patienten durch lang andauernde Asylverfahren ohne Aussicht auf eigenes Heim, Familiennachzug und Arbeit. Im Verlauf des Projektes konnten zunehmend effektive Umgangsweisen (insb. intensive Nutzung von Smartphones zur Terminabsprache, Intensivierung von Super- und Intervision – insb. der Dolmetscher –, Aufbau weiterer Kooperationen mit Jobcentern und Wohngenossenschaften zur Förderung der Integration) für diese Probleme generiert und Lösungsstrategien eingesetzt werden.

Wie fallen die ersten vorläufigen Ergebnisse der Evaluation aus?
Die ersten Auswertungen quantitativer und qualitativer Daten erscheinen viel-versprechend: das IIMPF, insb. die Psychotherapie ‚zu dritt, wird nach anfänglichem Eingewöhnen schnell akzeptiert und führt bei vielen Patienten zu einer Verbesserung der psychischen Symptome, verdeutlicht durch einen signifikanten Rückgang der Depressivität und Ängstlichkeit in der Hopkins Symptom Checklist-25, der PTBS Symptomatik in der Posttraumatic Diagnostic Scale und einer Zunahme der Lebensqualität im EUROHIS Quality of Life Index. Alle Veränderungen weisen mittlere bis starke Effekte nach Cohen’s d auf. Abgesehen von der Psychotherapie scheint insbesondere den sozialarbeiterischen Maßnahmen, welche Barrieren der Integration in die Arbeits- und Sozialwelt bearbeiten, eine immense Bedeutung zu zukommen.
Basierend auf den finalen Ergebnissen soll das Projekt strukturell und inhaltlich (z.B. Hinzunahme eines traumafokussierten Moduls bei schwerer PTBS) als Kurzzeit-Hilfsprogramm weiter optimiert und ggf. im Rahmen eines matched-care Ansatzes evaluiert werden.

 

KONTAKT 


Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier
eva-lotta.brakemeier@staff.uni-marburg.de

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